Wenn man sich als Selbst-Betroffener oder Angehöriger zum ersten Mal ernsthaft mit dem Thema Pflege beschäftigen muss, herrscht meist große Verwirrung. Sowohl im heute obligatorischen Internet, aber auch bei allen wohlmeinenden Bekannten geistern sich widersprechende Tipps umher: die Meinungen gehen wild durcheinander.
Dabei gibt es bereits seit 2009 einen Rechtsanspruch auf Pflegeberatung – und so kann man ganz einfach Antworten auf alle seine Fragen erhalten. Privatversicherte haben es besonders gut: Für sie ist bundesweit compass, die Pflegeberatung des PKV-Verbandes, des Verbandes der Privaten Krankenversicherung e.V., zuständig.
Gesetzlich Versicherte können sich an Pflegeberater wenden, am einfachsten sind diese über die jeweilige Pflegekasse zu erfragen.
Im Folgenden wollen wir Betroffenen einen gründlichen Überblick über den Ablauf einer Pflegebegutachtung geben.

Pflegebegutachtung steht an?
So sind Sie gut vorbereitet!
Eine Pflegebegutachtung ist ein wichtiger Termin: Schließlich hängt von ihm ab, ob und welchen Pflegegrad man bekommt – und damit welche (finanzielle) Unterstützung.
Ein Sturz, ein Schlaganfall, ein Unfall: Manchmal entsteht Pflegebedürftigkeit von jetzt auf gleich. Meist aber kommt sie schleichend daher: Betroffene oder ihre Angehörigen merken, dass im Alltag immer mehr Unterstützung nötig ist.
Das ist ein guter Zeitpunkt, um einen Pflegegrad zu beantragen. Denn: „Nur wer einen Pflegegrad hat, bekommt von der Pflegeversicherung auch Leistungen“, sagt Bruno Hohn, Beihilfeberater in Berlin. Welche Leistungen und in welchem Umfang, das hängt von der Höhe des Pflegegrades (1 bis 5) ab.
Ein typische Pflegeleistung stellt das sogenannte Pflegegeld dar. Das steht allen Betroffenen mit Pflegegrad 2 bis 5 zu, die sich statt von einem ambulanten Pflegedienst von Angehörigen versorgen lassen. Die Höhe des Pflegegeldes variiert je nach Pflegegrad und liegt zwischen 347 Euro und 990 Euro im Monat (Stand 08/2025).
Der Pflegeantrag ist gestellt? Dann folgt im nächsten Schritt die Pflegebegutachtung – ein Termin, vor dem Betroffene in der Regel ziemlich nervös sind. Die wichtigsten Fragen dazu:
Was ist eine Pflegebegutachtung?
Für die Pflegebegutachtung beauftragt die Pflegekasse den Medizinischen Dienst (MD) der Krankenkassen. Für Privatversicherte ist der Gutachterdienst Medicproof zuständig.
Dort arbeiten Pflegefachkräfte oder Ärzte, die zum Hausbesuch vorbeikommen. Ihre Aufgabe ist es, auszuloten, ob und in welchem Umfang die Person, die den Pflegeantrag gestellt hat, in ihrer Selbstständigkeit beeinträchtigt ist. (Pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen.) Das entscheidet über die Einstufung in einen Pflegegrad.
Gutachter stehen dabei nicht plötzlich vor der Tür. „Die Fachleute kündigen ihr Kommen rechtzeitig an“, sagt Monika Hohn, Pflegefachfrau bei MEDIRENTA in Berlin.
Was macht der Gutachter beim Hausbesuch?
Die Pflegegutachter gehen mit den Betroffenen einen festgelegten Fragenkatalog (Begutachtungsassessment) mit 64 Fragen durch. „Damit wollen die Expertinnen und Experten herausfinden, inwieweit Betroffene körperlich, geistig oder psychisch eingeschränkt sind und welchen Unterstützungsbedarf sie in ihrem Alltag haben“, sagt Monica Hohn. Der Gutachter vergibt abhängig von den Antworten jeweils Punkte. Aus ihnen wird dann der Pflegegrad berechnet.
Was wird von der Gutachterin oder vom Gutachter im Einzelnen geprüft?
„Die Fachleute nehmen sechs Lebensbereiche, auch Module genannt, ins Visier und erfassen dabei erkennbare körperliche, geistige und psychische Einschränkungen“, sagt Monica Hohn.
Die sechs Bereiche:
- Mobilität (Modul 1): Kann die Person etwa allein von einem Stuhl aufstehen, sich selbstständig im Liegen drehen, sich allein fortbewegen?
- Kognitive und kommunikative Fähigkeiten (Modul 2): Hier geht es darum, ob eine Person geistig in der Lage ist, etwas zu verstehen – und das auch auszudrücken. Kann sie ihre Wünsche und Bedürfnisse verständlich äußern? Kann sie sich z.B. selbstständig und dem Wetter angepasst anziehen?
- Verhalten und psychische Probleme (Modul 3): Ist die Person aggressiv, läuft sie ziellos umher? Beleidigt sie andere oder schlägt sie gar? Ist sie depressiv?
- Sich selbst versorgen (Modul 4): Ist die Person in der Lage, sich selbst zu versorgen – also etwa zu duschen oder zu essen?
- Umgang mit Krankheiten (Modul 5): Kann die Person ärztlich verordnete Maßnahmen, z.B. das Einnehmen von Medikamenten, selbstständig umsetzen?
- Alltagsleben und soziale Kontakte (Modul 6): Kann die Person ihren Alltag selbstständig gestalten – etwa Einkäufe erledigen, Kontakte zu Bekannten und Nachbarn pflegen?
Wie kann man sich auf die Pflegebegutachtung vorbereiten?
„Man sollte sich im Vorfeld genau überlegen, wo genau man eingeschränkt ist und wobei man Hilfe braucht“, sagt Bruno Hohn.
Hilfreich kann z.B. sein, vorab ein Pflegetagebuch zu führen, in dem man den tatsächlichen Pflegeaufwand im Alltag möglichst genau festhält. Vorlagen dafür gibt es im Internet.
Um abzuschätzen, auf welchen Pflegegrad die Begutachtung hinauslaufen könnte, kann man einen Rechner der Verbraucherzentralen nutzen.
Welche Unterlagen sollte man bereithalten?
Eigene Notizen bzw. das Pflegetagebuch sind sehr hilfreich. Außerdem sollte man laut Bruno Hohn folgende Unterlagen parat liegen haben, sofern vorhanden:
- aktuelle Arztbriefe
- Entlassungsbericht vom Krankenhaus beziehungsweise von der Reha-Einrichtung
- Pflegedokumentation (wenn die Person bereits von einem ambulanten Pflegedienst versorgt wird)
- Medikamentenplan
- Schwerbehindertenausweis
- Liste mit den benötigten Hilfsmitteln wie Hörgerät, Rollator etc.
Welche Rolle spielen Angehörige beim Begutachtungstermin?
„Bei der Pflegebegutachtung sollten unbedingt Angehörige dabei sein“, rät Monica Hohn. Denn sie könnten oft klarer und sachlicher Auskunft über die Pflegebedürftigkeit geben als der oder die Betroffene selbst. „Hinzu kommt, dass der Patient beim Begutachtungstermin meist aufgeregt ist“, sagt Bruno Hohn. Da tut es gut, zumindest eine vertraute Person an seiner Seite zu wissen.
Was sind typische Fehler?
Immer wieder kommt es zu fehlerhaften Selbsteinschätzungen. „Betroffene versuchen nicht selten, aus Scham heraus sich so perfekt wie möglich darzustellen“, sagt Bruno Hohn. Dann wird womöglich verschwiegen, dass der Toilettengang ohne Hilfe nicht mehr funktioniert.
Andere wiederum neigten dazu, „den sterbenden Schwan zu mimen, obwohl dies nicht unbedingt den Tatsachen entspricht“, so Monica Hohn. Am besten bleibt man auf dem Mittelweg und schildert seine Situation so ehrlich und exakt wie möglich – und ohne falsche Scham.
Wie geht es nach dem Begutachtungstermin weiter?
Der Gutachter erstellt auf Basis der von ihm ermittelten Ergebnisse ein Gutachten, das an die Pflegeversicherung geht. Von dieser kommt dann ein Bescheid, aus dem hervorgeht, ob und welcher Pflegegrad vorliegt und welche Leistungen bewilligt wurden. Auf Wunsch erhalten Betroffene auch das Gutachten zugeschickt. „Von der Antragstellung bis zum Bescheid dauert es zumeist circa 25 Arbeitstage“, so Monica Hohn.
Gegen den Bescheid können Betroffene Widerspruch einlegen. „Dann erfolgt eine sogenannte Zweitbegutachtung durch einen anderen Gutachter“, sagt Bruno Hohn. Sind Betroffene auch mit dem Ergebnis des Zweitgutachtens nicht einverstanden, können sie Klage beim zuständigen Sozialgericht einreichen oder nach sechs Monaten einen Neuantrag stellen.
Hinweis für Beihilfeberechtigte
Ansprüche auf Beihilfeleistungen bleiben zusätzlich zu den Leistungen der Pflegeversicherung bestehen.
👉Die Mandanten der MEDIRENTA profitieren in jedem Fall von der jahrzehntelangen Erfahrung ihrer Beihilfe-Fachleute im Bereich Pflege und der engen Zusammenarbeit mit der Pflegeberatung compass.
